Interview mit dem Sprecher der CAM, Hector Llaitul
Vor mehr als 300 Jahren bewohnten die Mapuche das Wallmapu Gebiet und auch heute noch kämpfen sie gegen dessen Zerstörung. Während der Pinochet-Ära wurden weite Gebiete an große Forstunternehmen übergeben. Ab den 1990er Jahren, nach dem Ende der Pinochet-Diktatur begannen die Mapuche Gemeinden, ihre angestammten Länder wiederzugewinnen. Der Staat reagierte mit Repression und Verfolgung, unter Anwendung des Antiterrorgesetzes das noch aus Zeiten des Pinochet-Regimes stammt. In diesem Prozess der Wiederaneignung zeichneten sich einige Gemeinden im Wallmapu durch ihre Entschlossenheit aus. Aus diesem Kampf entstand 1998 eine Gruppe namens Coordinadora Arauco Malleco, die CAM. Die CAM konzentriert sich auf die großen Forst- und Wasserkraftunternehmen – strategische Ziele, um die Situation in Wallmapu anzugehen. Heute sprechen wir mit Hector Llaitul, Sprecher der CAM.
komm:on
Die CAM veröffentlichte im Juli dieses Jahres das Buch „Chem Ka Rakiduam“ Denken und Handeln der CAM. Es gibt Berichte über Erlebnisse von Lonkos sogenannten Anführern und Peñis, den Brüdern in extrem lebensbedrohlichen Situationen. Es wird über die Notwendigkeit eines Wiederaufbaus der Mapuche Nation gesprochen und die Befreiung der Mapuche durch territoriale Kontrolle, die die Räumung von Großgrundbesitzern und Oligarchen ermöglicht. Welche Position vertritt die CAM in ihrem Buch? Was ist das grundlegende Ziel dieses Buches?
Hector
In der Tat gibt es ein Konfrontationsszenario, in dem der Staat die Logik vertritt, unser Volk sei der innere Feind. So gesehen sprechen wir über eine nationale Sicherheitsdoktrin und die Strategie die gegen uns eingesetzt wird, wobei es ja eigentlich um historisch gerechtfertigte territoriale Rückforderungen geht.
Momentan befinden wir uns in einer immer mehr eskalierenden Situation, in der die institutionelle, strukturelle und politische Gewalt von Stufe zu Stufe zunimmt. Das ist ein Thema, das wir ansprechen wollten in diesem Buch, mit Blickpunkt auf eine historische Analyse, die den Prozess und die Entwicklung unseres Kampfes dokumentiert.
Diese Analysen basieren auf den Strategien früherer Widerstände unseres Mapuche Volkes, die den Versuch eines Wiederaufbaus unserer Nation darstellen. Aus diesem Grund haben wir den ganzen Prozess der Gedankenkonstruktion nachgezeichnet und weiterentwickelt. Diesen Prozess nennen wir in unserer Sprache, in Mapudungun: Rakiduam.
Die politische Praxis und die direkte Aktion bezeichnen wir als die Chem Mapuche. Chem Ka Rakiduam stellt also die Kampferfahrung in Bezug auf das Denken und Handeln einer autonomen und revolutionären Organisation wie der CAM dar.
Wir haben diese Erfahrungen sowohl im politisch-ideologischen Denken als auch in der konkreten Praxis in Textform systematisiert und das zentrale Ziel dieses Buches besteht darin: diese Ideen so weit wie möglich zu verbreiten, um sie nicht nur in der Mapuche Bewegung nutzen zu können, sondern auch in den Kämpfen anderer Völker und auch all jener, die für die Befreiung ihrer jeweiligen Nationalitäten oder Identitäten oder im Bereich der sozialen Gerechtigkeit kämpfen.
Dann gibt es auch einen Bereich, der mit der politischen Praxis zu tun hat, in dem es hauptsächlich darum geht, wie wir heute mit der historischen und politischen Gewalt umgehen, die der Staat zur Beherrschung unseres Volkes einsetzt und wie am besten darauf reagiert werden sollte und in welcher Form, die davon bestimmt wird, wie viele Kräfte auf unseren Vorschlag hin mobilisiert werden können. Wahr ist, dass wir uns zu Recht darauf vorbereitet haben, einen Prozess der Mobilisierung unserer Mapuche Streitkräfte durchzuführen, was wiederum mit der Möglichkeit der Vertreibung der Großgrundbesitzer und Oligarchen aus unseren Territorien zu tun hat. Sie werden schließlich als historische Feinde definiert, die Anhänger eines Systems der Aneignung, der Besitznahme und der Plünderung unserer Ressourcen und unseres Lebensraums sind.
Aus diesem Grund gibt es auch in dem Sinne einen Vorschlag zur territorialen Kontrolle unseres Landes. Sobald wir die Kontrolle über das Land erlangen, wird es einen vollständigen Prozess der Rekonstruktion der religiösen und kulturellen Identität geben, der für unsere Positionierung von grundlegender Bedeutung sein wird, für das Gerüst unserer Mapuche Anschauung und unserer Mapuche Welt.
Auf dieser Ebene gibt es Erfahrung, die mit dem konkreten Widerstand zu tun hat. Ausgeführt und ausgedrückt durch die Organe, die sich im territorialen Widerstand befinden und dafür verantwortlich sind, diese Maßnahmen so zu entwickeln, dass sie mediale Aufmerksamkeit hervorrufen. Das betrifft zum Beispiel die Brandstiftungen, die als Sabotageaktionen hauptsächlich gegen die Konzerne, die an der Plünderung und der ausbeuterischen Politik beteiligt sind, durchgeführt wurden. Es gibt Berichte über diese Aktionen, die von den Weychafe, den Kämpfern durchgeführt wurden, und diese Aktionen werden beschrieben. Es gibt eine Erklärung, in der wir uns mit den konsequentesten unserer strategischen und politischen Ansätze befassen und wie wir diese als Organisation definiert haben.
komm:on
Warum hat sich die CAM für die legitime Selbstverteidigung entschieden? Weshalb reagiert der Staat nicht auf den Dialog mit den Gemeinden? Was ist wirklich los in Wallmapu?
Hector
Die CAM basiert auf dem Bedürfnis unseres Volkes, einen überlegenen Kampfkörper zu haben. Seit der Gründung des spanischen und des chilenischen Staates wurde unser Status als Eigentümer und Beschützer des Wallmapu nicht anerkannt. Wir befinden uns in einem Zustand, in dem alle Regierungen den Ausverkauf und den globalen Handel befürwortet haben, ohne auf das ökologische Gleichgewicht zu achten. Die CAM ist also eine logische Reaktion auf die Plünderung und die Zerstörung unserer Ressourcen.
Was den Dialog angeht – wenn es überhaupt Dialogangebote gegeben hat – so haben wir die Erfahrung gemacht, dass diese nicht für die Aussöhnung oder als Grundlage für Verhandlung gedient haben, sondern die Politik des chilenischen Staates immer umständlich und zugunsten des Kapitals und der legalen und illegalen Landnahme ausgerichtet war. Dann versteht es sich von selbst, dass es zwar den Aufruf zum Dialog gibt, die Gemeinschaften sich aber nicht für diesen Zirkus eignen, außer für einige Gespräche, die kleinere Probleme lösen – aber vom Dialog allein kann man nicht leben.
Die Aktionen des chilenischen und argentinischen Staates gegen die Mapuche Nation sprechen eine ganz andere Sprache. Wir sind heute fest davon überzeugt, dass der einzig mögliche Weg die Selbstverteidigung ist, zu unserem eigenen Selbstschutz, der von bewaffneten Polizisten bedroht wird, die in der Aufstandsbekämpfung geschult sind.
komm:on
Was bedeutet das Antiterrorgesetz in diesem Fall, das in der Pinochet-Ära eingeführt wurde und heute als Instrument zur Unterdrückung des Mapuche Widerstands eingesetzt wird? Lassen Sie uns über das Jungla Kommando und die Operation Huracan sprechen. Wie reagiert die CAM auf so eine extreme politische Verfolgung?
Hector
Im Rahmen der Reaktion des Staates auf die territorialen und politischen Neuerungen der Mapuche Nation, wird dieses Kriegsszenario tatsächlich gegen unser Volk eingesetzt. Auf dieser Ebene nimmt die Militarisierung des Wallmapu zu und es werden immer neue Definitionen von extremer Kriminalisierung aufgestellt, die auf unsere Unterdrückung ausgerichtet sind. Dies entspricht aber durchaus den historischen Anforderungen und dem Ansatz der Transformation dieses Rechtsstaates, dem wir ausgesetzt sind.
Hier wurden bereits mehrmals Instrumente wie das Antiterrorgesetz oder der Einsatz einer militarisierten Kraft wie dem Jungla Kommando eingesetzt, die in gewisser Weise ein Signal aussenden und ein besonderes Merkmal einer Unterdrückung darstellen, ähnlich der Wirkung eines Völkermords, einer politischen Ermordung oder einer politischen Inhaftierung.
Auf der anderen Seite wird auch auf höchstem politischen Niveau agiert, wie im Fall des Huracan Plans, bei dem der Staat und seine Agenten sich sogar einer ganzen Institution gegenüber verpflichtet haben, die Unterdrückung der Mapuche Nation zu realisieren. Und das geht sogar über die institutionellen oder rechtlichen Voraussetzungen hinaus. Diese geheimdienstlichen Huracan Operationen werden von uns als übertriebene Aktion verstanden, die in Bezug auf die Kämpfe und unseren Widerstand unverhältnismäßig ist.
komm:on
Warum hat bis jetzt keine chilenische Regierung dieses Antiterrorgesetz beseitigt?
Hector
Ich glaube, dass die Tatsache, dass das Antiterrorgesetz nicht abgeschafft wird, mit diesem verzweifelten Vorgehen der neoliberalen Regierung und der Behörden zu tun hat, die sich für dieses Wachstumsmodell einsetzen. Basierend auf einer neoliberalen Ökonomie, in der aus dem gleichen Grund mit Blut und Feuer extraktivistische Maßnahmen durchgeführt werden, zwingt diese Verzweiflung sie, Fehler dieser Art zu begehen, die sogar gegen internationale Konventionen verstoßen, worauf auch mehrere Organisationen, die sich für Menschenrechte und die Rechte der Ureinwohner stark machen, hingewiesen haben.
In der Zwischenzeit haben die Regierungen das Antiterrorgesetz und das Geheimdienstgesetz angewendet, darüber hinaus haben sie Geheimdienstoperationen entwickelt, die mit einer politischen Verfolgung gleichzusetzen sind, um die Interessen der Mächtigen gegen uns zu verteidigen. Weshalb es bis jetzt keine Regierung gab, die sich für sozialistische oder sozialdemokratische Ziele ausgesprochen hat, liegt daran, dass alle diese Regierungen zu allen Zeiten diese Interessen der Mächtigen verteidigt haben und sich diesen Interessen verschrieben haben, ganz genau so wie in den Zeiten der Diktatur, die den Menschen ebenfalls Blut und Feuer auferlegt hatte.
komm:on
Im Oktober 2018 bist du nach Spanien und in die Schweiz gereist, um juristische und institutionelle Unterstützung zu finden und um Möglichkeiten für die Meldung von Menschenrechtsverletzungen gegen die Mapuche auszuloten. Was waren die Ergebnisse dieser Reise?
Hector
Zunächst einmal bestand die Idee darin, Räume für eine effektive Berichterstattung zu schaffen, um später in der Lage zu sein, zusammen mit anderen Verbündeten im Bereich der Kommunikation und der Menschenrechte, Strategien zu entwickeln, die es uns ermöglichen würden, den Mapuche Konflikt und dessen Ausmaß von Missbrauch und Kriminalisierung auf der Ebene der Justiz und der Institutionen gegen unser Volk zu ermitteln. In der Tat hat diese Situation, die seit langem angeprangert wird, zu einer Kriminalisierung seitens der Justiz geführt und der Mapuche Konflikt nicht genug Unterstützung gefunden.
Führungskräfte der Mapuche Bewegung, die stärker in den Prozess des territorialen und politischen Wiederaufbaus involviert waren, tragen persönlich die Kosten für die politische Verfolgung und Haft. Deswegen suchen wir Unterstützung und Begleitung, um festzustellen, inwieweit Rechte verletzt und missbraucht wurden.
komm:on
Was tun die Mapuche und nicht-Mapuche Gemeinden, um die Forst- und Wasserkraftunternehmen zu stoppen? Unterstützen die Mapuche Gemeinden den Kampf der CAM ?
Hector
Unsere Diagnose hat mit der Realität zu tun, dass das Genehmigungssystem für die angestammten Mapuche Territorien zur Zeit der Diktatur mit einem Anpassungsprozess einhergeht, bei dem das beste Land mit der größten Ausdehnung einigen wenigen überlassen wurde. Wir sprechen von Wirtschaftsgruppen, die heute den forstwirtschaftlichen Bereich, die Wasserkraft und andere Investitionsprozesse nutzen und damit die Natur zerstören. In diesem Hinblick haben wir also die Konfrontation, dass der Staat einerseits die Interessen der Mächtigen verteidigt, indem er das Gebiet militarisiert und den Mapuche Konflikt verfolgt und unterdrückt. Auf der anderen Seite führen wir den Prozess der territorialen Rückeroberung, der Wiederherstellung unseres Landes und der Wiederherstellung des ideologisch-politischen sozialen Gefüges der Mapuche durch, dies alles unter dem Gesichtspunkt des Wiederaufbaus und der Verteidigung unseres Volkes.
komm:on
Die Gebiete, die der chilenische Staat dem Mapuche Volk zurück gegeben hat, waren Gebiete die bereits ausgebeutet und ausgelaugt waren. Was bedeutet das für die nächsten Generationen und die Umwelt und wie reagiert der Rest der Bevölkerung auf die Zerstörung in der Region?
Hector
Wir sind inmitten eines Selbstfindungsprozesses, der sich mit unserer Mapuche Welt und der Ausbeutung durch die Besetzung vom Wallmapu beschäftigt. Tatsächlich ist es ein entscheidender historischer Meilenstein seit der Mapuche Neuaufteilung. Seit dieser Zeit gibt es eine Invasion des Kapitalismus als Phänomen, als Entwicklungsmodell und als Realität, die täglich versucht, unsere Gemeinschaften zu beeinflussen. In diesem Sinne ist der Kampf unseres Volkes der Kampf ums Überleben, es ist ein Kampf für den Wiederaufbau eines Gesellschaftstyps, der unserer Meinung nach ein höheres Niveau in Sachen Gleichberechtigung und das Recht auf ein gesundes und faires Leben hat.
komm:on
Auch in den Industrieländern gibt es verschiedene Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion. Was denkst du über diese Protestbewegungen im Zusammenhang mit dem Mapuche Kampf? Ist der Mapuche Kampf auch ein Kampf um die Umwelt?
Hector
Ich kenne diese Organisationen oder ihre Kampferfahrungen nicht, aber wenn es Bewegungen in Bezug auf die Verteidigung der Umwelt gibt, können wir anfangen, diese Erfahrungen auszutauschen. Es gibt genug Erfahrung in der Verteidigung des Territoriums und der Ressourcen von unseren Mapuche Gemeinden.
Tatsächlich hat der Mapuche Konflikt mit der Wiederherstellung einer Welt zu tun, in der die Mensch-Erde-Beziehung wieder intakt ist. Sie hat damit zu tun, wie wir in der Konzeption der Mapuche Welt unseren Kosmos wahrnehmen. Die Natur und die Verteidigung der Umwelt und damit unsere kulturellen und religiösen Vorstellungen haben eine hohe ökologische Bedeutung. Der Kampf um das Land ist ein Kampf, der in unserem Volk ebenfalls eine hohe Bedeutung hat, weswegen er unseren Einfluss auf die Organisation und die Art, wie sich die Mapuche ausdrücken, gestärkt hat, da wir im wesentlichen selbst Mapuche sind. Das Mapuche Wesen gerät in einen Widerspruch zum Kapital, das heute unser angestammtes Territorium verwüstet und zerstört. Aus diesem Grund gibt es diesen Gegensatz und die starke Konfrontation in Bezug auf den Kampf um Land und den Kampf um Autonomie. Das spiegelt sich dann auch in dem wider, mit welchen Forderungen wir unseren Einsatz für das Land und für unsere Territorien angefüllt haben, nämlich dass dieser Kampf ein Kampf um das Überleben der Umwelt ist – in diesem Teil der Welt und im Allgemeinen!