Liebe Freundinnen und Freunde,
Ehrlich gesagt, habe ich ein wenig Zeit gebraucht, um überhaupt reagieren zu können. Ich war so voller Wut und Hass war, so voller Ohnmacht, dass ich wirklich nicht wusste, was ich hätte schreiben sollen, um so viel Verbitterung zum Ausdruck zu bringen. Die Bilder sind bekannt und damit auch die Ungerechtigkeit, die so offensichtlich ist. Diese Ekelhaftigkeit des Täters und die Selbstgerechtigkeit seiner Kollegen, die den Tatort absichern, die Verzweiflung der Umstehenden und die blinde Wut, mit der man diesen Hund von seinem Opfer hätte treten müssen… und diese Ohnmacht, dass man genau das aber nicht so einfach hätte tun können, ohne selbst erschossen zu werden, ohne selbst angeklagt zu werden und ins Gefängnis gesteckt zu werden, wegen Gefangenenbefreiung oder Angriff auf einen Polizeiwachtmeister. Denn das ist die Rechtslage. Das ist in Amerika genau das Gleiche wie hierzulande. Das ist dieselbe Scheiße wie überall. Das ist gelebte Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit im Namen des Gesetzen. Da wird ein Mensch zu Tode gewürgt, im Namen von Recht und Gesetz und wenn es dieses Video nicht gegeben hätte, wäre dieser Mörder vielleicht noch ein weiteres Mal ungestraft davongekommen.
Das ist die Art von Ungerechtigkeit, die den Zorn der amerikanischen Bevölkerung gerade so entzündet hat. Es ist die Wut über diese Zustände, die jetzt zu diesen Ausschreitungen geführt hat, denn wenn Du die ganze Zeit das Gefühl hast, dass es zwar Rechte gibt, diese aber offensichtlich nicht für Dich gelten und dass es zwar Gesetze gibt, diese aber ausschließlich nur für Dich gelten, aber nicht für die anderen – dann fühlst Du Dich halt irgendwann an solche Rechte und Gesetze nicht mehr gebunden. Dann ist es doch sowieso egal, wenn Du Dich außerhalb dieser Gerechtigkeit stellst, weil diese Gerechtigkeit ja sowieso nicht für Dich gilt – nie gegolten hat.
Und dann ist auch dieses Rumgeweine über diese Gewalt, die jetzt ausgebrochen ist, so heuchlerisch. Diese Versessenheit der Journalistinnen und Journalisten, auf Gewaltlosigkeit und friedliche Proteste und diese Abscheu davor, wenn sich die Wut der Menschen Luft macht. Dabei sollte man doch endlich mal anerkennen, dass diese Welt in der wir Leben gar nicht so friedlich ist, wie immer getan wird. Dass diese Welt voller Gewalt steckt, die sich über friedliche Proteste einfach einfach nur lächerlich macht. Diese Gewalt kann man genauso an den europäischen Außengrenzen sehen, wie man sie sehen kann, wenn das Militär vor dem weißen Haus steht. Man kann sie genauso sehen in den Kampfeinsätzen der Bundeswehr, wie man sie sehen kann, wenn die Staatschefs dieser Welt, durch eine Armee von Sicherheitskräften abgeschirmt werden, wie auf dem G20 Gipfel in Hamburg. Man kann sie sehen, wenn irgendwo wieder mal eine Wohnung geräumt wird und Mieterinnen und Mieter mit Polizeigewalt in die Obdachlosigkeit getrieben werden, genauso wie man sie sehen kann, wenn das Militär durch die Straßen von Minneapolis zieht und auf Menschen schießt, die aus ihren Häusern gucken.
Freundinnen und Freunde, wir brauchen ganz dringend eine demokratische Revolution. Wir müssen ganz, ganz dringend die Sicherheitskräfte und Staatsorgane wieder unter unsere demokratische Kontrolle bringen und wir müssen die Wirtschaft unter unsere demokratische Kontrolle bringen, sonst geht das alles nicht gut aus.
Wir brauchen eine demokratische Revolution und wir müssen uns lernen, uns zu organisieren. Wir müssen lernen, wie wir wieder zusammen kommen können und wie wir gemeinsam Entscheidungen treffen können.
Das haben wir verlernt und deshalb ist es wichtig, dass wir solche Sachen wieder üben. Dabei ist es dann wahrscheinlich auch egal, wo genau wir das tun, Hauptsache wir kommen zusammen und lernen wieder miteinander umzugehen.
Deshalb macht mit, bei irgendwelchen Mieter:innen-Initiativen oder Antirassismus-Gruppen. Macht mit bei Gruppen, die sich um Geflüchtete kümmern oder von mir aus auch, geht zu einer Ortsgruppe vom Naturschutzbund. Geht zu Ende Gelände oder der Seebrücke. Macht mit bei Unteilbar oder irgendwelchen anderen Initiativen, die sich für eine antirassistische und radikaldemokratische Gesellschaft einsetzen. Unterstützt die Selbstorganisierung von Betroffenen. Lasst Leute zu Wort kommen, die unter dem strukturellen Rassismus zu leiden haben – davon gibt es auch in Deutschland leider noch viel zu viel. Hört ihnen zu. Hört Euch Gegenseitig zu. Lasst Euch sprechen. Checkt Eure Privilegien und überlegt wie wir sie alle gemeinsam und solidarisch einsetzen können – gegen diejenigen, die an der Macht sind und von der Ausbeutung, der Spaltung, Umweltzerstörung und der Ungerechtigkeit profitieren.
Wir hier unten müssen uns organisieren und zusammenschließen. Das müssen wir üben. Also los: Üben wir. Wir haben nicht mehr viel Zeit.
In Erinnerung an George Floyd.